Ich war schon einige Stunden auf den Beinen: Kräfte sammeln und fokussieren auf den heutigen Workshop-Tag, duschen usw., anreisen, einrichten des Workshop-Raumes, die 5. Tasse Tee trinken, nochmals konzentrieren und fokussieren. Soweit war alles bereit, der Raum hiess die Teilnehmenden willkommen. Und schliesslich trafen die ersten ein.
Die Teilnehmenden betraten den Raum, sahen sich um, begrüssten mich und sich untereinander. Gespräche gingen los und die ersten Lacher erhellten den Raum. Dann kam er. Mit mürrischem Gesicht und einer geballten Power betrat er den Raum und drückte als erstes lautstark seinen Unmut aus: «Was ist das den für eine Sch*! Kreisbestuhlung! Auch das noch!»
Die unterschiedlichen Reaktionen
Die Anwesenden reagierten unterschiedlich. Die einen lachten nervös und sahen zu mir rüber. Die anderen reagierten empört: «Was bringst Du schon wieder für eine Laune mit?!» Und wie reagierte ich? Ich gebe zu, mein Pulsschlag erhöhte sich ganz leicht. Wie bei allen anderen ging ich zu ihm hin und begrüsste ihn mit Handschlag.
Die Teilnehmenden nahmen Platz und arrangierten ihre Utensilien, als er sich plötzlich wieder lautstark vernehmen liess, ohne mich zu adressieren: «Ich hasse Kreisstühle. Wenn ich die nur sehe, kommt mir die Galle hoch.» Gut, dachte ich, wir wissen nun alle Bescheid. Die Uhr schlug pünktlich 8.30 Uhr, ich eröffnete den Workshop und hiess die Teilnehmenden herzlich willkommen.
Bild: Impact Consulting, Ancilla Schmidhauser
Der Kreisstuhl
«Wir haben Dich gehört zum Thema Kreisstühle. Dazu möchte ich dieses sagen: Sie haben einen Vorteil: Wir können uns nicht hinter Tischen verstecken, dafür begegnen wir uns direkter. Der Nachteil ist, dass wir unsere Kaffeetasse weiter weg abstellen müssen. Um nicht darüber zu stolpern.»
Ich liess den Workshop beginnen, indem ich die Teilnehmenden einlud, sich untereinander zu ihren Erfahrungen zum Thema austauschten und ihre Ziele für die kommenden zwei Tage zu notierten.
Am Ende des Tages
8 Stunden später, der Workshop-Tag neigte sich dem Ende zu. Die Teilnehmenden äusserten sich zur Erreichung ihrer Ziele. Die Stimmung war ausgelassen, eine grosse Zufriedenheit hatte sich bereit gemacht, das Flip Chart füllte sich mit positiven Symbolen und Worten der Wertschätzung. Bis jetzt hatten sich 19 Teilnehmende nur positiv und zufrieden geäussert. Es fehlte nur noch jemand.
Er. Der Kreisstühle hasst. Ich war gespannt. «Ich hasse Kreisstühle. Ich mag Tische, weil ich mich dahinter verstecken kann. Weil ich meine Tasse draufstellen kann. Weil ich Dinge aufschreiben kann.» Er sprach trotzig. Dann schwieg er. Ich sagte: «Danke für Deine geschätzte Rückmeldung. Du bevorzugst also Tische. Magst Du noch etwas zum Inhalt des Tages sagen?» Er: «Hab vieles schon gewusst.» Schweigen. Ich: «Magst Du Deinen Output beschreiben? Was nimmst Du mit?» Schweigen. Und dann: «Naja, gewisse Dinge muss man immer wieder hören und machen, sonst bleibt es nicht.» Ich: «Ich danke Dir für Deine Rückmeldung.»
Mein Umgang mit Kritik: früher
Früher hat es mich enorm gestresst, wenn jemand kein gutes Feedback zu einem Workshop oder Training gab. Selbst wenn sich 99% der Teilnehmenden positiv äusserten, fokussierte ich mich ausschliesslich auf die Person, die sich negativ äusserte. Das Lob und das Positive konnte ich dann sehr gut ausblenden. Ich fand immer etwas, das ich aus Kritik mitnehmen konnte, um meine Arbeit besser zu machen. Manchmal war der Fokus nur auf die Kritik fast krank.
… und heute
Heute kann ich es entspannter annehmen. Wenn ich kritisiert werde, muss ich etwas richtig machen. Angegriffen wird nur derjenige, der den Ball hat (Bruce Lee). Ich habe gelernt, mit Kritik umzugehen. Insbesondere dann, wenn sie konkret und konstruktiv daherkommt. Dafür offen und vor allem dankbar zu sein, finde ich wichtig. Sie bringt mich und die Qualität meiner Arbeit weiter. Sie ist das Schmiermittel für meinen Erfolg.
Doch nochmals zu ihm: Was hätte ich machen können? Zum Beispiel diese Frage stellen: «Was hättest Du Dir gewünscht?» Seine Antwort kam postwendend: «Einen Tisch.»
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