STORY DES MONATS JUNI: 80 MINUTEN VERTRAUENSBILDUNG ÜBER DEN WOLKEN

Situation: verspäteter Flug von Zürich nach Düsseldorf, 49 gestresste Geschäftsherren auf dem Weg zu ihren Terminen. Die Flugbegleiterin ist für diesen Service infolge erneuter Reorganisation in der Minimalbesetzung und allein auf sich gestellt. Ihre freundliche Begrüssung am Eingang prallt auf die mehrheitlich gereizte Stimmung. Die Businessmänner fallen leicht genervt und gestresst in ihre Sitze.

Die Rücksprache im Cockpit mit dem Flugkapitän und Co-Pilot ist von unkooperativem Schweigen geprägt, die Flugbegleiterin erhält weder eine übliche Mitteilungsunterstützung noch einen Informations-Tipp für die Passagiere. Sie ist ihrer Kreativität überlassen. Leicht fassungslos über diese unübliche Nichtkooperation und wortwörtliche Abschottung des Cockpicks, begibt sich die Flugbegleiterin zurück in die gefühlt gefrostete Passagierkabine. Was tun?

Fassungslosigkeit hin oder her

Doch es bleibt keine Zeit für Fassungslosigkeit, sie startet die Gedanken rund um die Servicemaxime «trotz allem eine angenehme Atmosphäre und Vertrauen schaffen». Plötzlich eine weitere Hiobsbotschaft vom Kapitän: der geplante Abflugsslot sei nicht möglich, in der Folge ergebe sich eine weitere Verspätung. Und: Er sehe auch die Vermittlung dieser Information nicht als seine Aufgabe. Wieder ist die Flugbegleiterin sich selbst überlassen. Sie wünscht sich konsterniert die Möglichkeit, im Boden versinken zu können, um sich den unangenehmen Passagieren zu entwinden.  Doch alles Wünschen hilft nicht, sie muss der Realität ins Auge sehen und schauen, wie sie die missglückte Situation irgendwie retten kann.

Vertrauen löst sich in Luft auf

Ruhig und empathisch – trotz innerlicher Aufgewühltheit – so kommt die Mitteilung der Flugbegleiterin rüber. Sie löst Bartgegrummel, Buh-Rufe, ja einen Sturm der Entrüstung aus. Die Herren sind empört und tun sich keine Zwänge an, dies auch deutlich und enerviert Kund zu tun. Imagewerte rund um die Fluggesellschaft, die Marke Schweiz, Legenden zum Thema Pünktlichkeit und Präzision dröhnen als laute Verärgerung kreuz und quer durch die Kabine, ungefilterte Fluchwörter inklusive. Der Start schliesslich bringt die Gemüter wieder etwas zur Ruhe. Die Flugbegleiterin lässt sich nichts anmerken und garantiert über den Wolken pflichtbewusst einen optimalen Service und führt diesen trotz Zeitstress professionell und bemüht herzlich durch. Doch der Frost lässt sich nicht auftauen.

Und als ob es nicht schon reicht

 

Kurz vor der Landung meldet sich der Kapitän nochmals bei der Flugbegleiterin: Sie solle die Passagiere informieren, dass sich durch ein Sicherheitsproblem am Flughafen nach der Landung zusätzlich eine Aussteige-Verzögerung von rund 40 bis 60 Minuten ergebe. Die Frau in Uniform fühlt Schwindel, sieht schwarze Flecken im Sichtfeld. Erneut vom direkten Vorgesetzten nicht unterstützt, sondern der Eigenverantwortung überlassen, empfindet die ratlose Flugbegleiterin keinen Halt und fürchtet eine regelrechte Reklamations-Explosion in der Kabine. Sie fühlt sich wie das Wild zum Abschuss frei gegeben. Ein Verstecken in der Kabine ist aussichslos, die Küche ist einsehbar, die Toilette bietet kaum Platz. Also, Augen zu und durch. Mit einem Klos im Hals nimmt sie das Mikrofon in die Hand und dreht den Lautsprecher hoch.

Ich bin es schon wieder

 

«Liebe Fluggäste. Ich bin es schon wieder – erneut mit Bad News. Ich kann es selber kaum glauben. Wir sind durch einen technischen Zwischenfall am Flughafen gezwungen, nach der Landung rund eine Stunde im Flugzeug zu warten. Ich weiss, wie Sie sich jetzt fühlen, was Ihnen alles wegen Ihrer Business-Agenda durch den Kopf geht, dass jetzt, direkt gesagt, die Kacke am Dampfen ist. Die Situation ist doof und dafür entschuldige ich mich. Aber, da ich selber die Dinge nicht in der Hand habe, kann ich nur dazu beitragen, Ihnen auch am Boden einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Bitte helfen Sie mit, dass wir die Situation trotz allem gut überstehen. Ich werde am Boden nochmals einen Service machen und sie dürfen telefonieren. Wir schaffen das. Ich danke Ihnen.»

Merklich entspannt

 

Die Passagiere entspannen sich im selben Augenblick. Das Gegrummel hört schlagartig auf. Die Gesichter werden langsam freundlich. Kaum gelandet, entspannen sich die Herren. Die Flugbegleiterin führt den versprochenen Zusatzservice gewissenhaft durch, muss sich jedoch das nervöse Zittern unterdrücken. Sie zeigt absolutes Verständnis für ihre Kundschaft, kommuniziert direkt statt geschminkt. Das Gemüt der Herren zeigt sich erheitert. Nach rund 30 Minuten kommt die Erlösung. Der Ausstieg sei nun doch früher erlaubt. Die Stimmung steigt. Die Businessmänner verlassen das Flugzeug mit Händedruck und Dank an die Flugbegleiterin. Die Verärgerung ist verraucht, Temperatur gefühlt auf Sommerwetter. Der letzte Gast bemerkt zur Flugbegleiterin: «Ich habe Sie während ihrer Arbeit beobachtet. Kompliment, Sie haben das richtig gut gemacht. Danke, dass Sie uns die Wahrheit gesagt und keine Plattitüden über das Mikrofon verbreitet haben. Super.» 

Mutige Stories braucht die Welt

Leidenschaft, Herz und Köpfchen – die Zutaten für gutes StorytellingVertrauen aufbauen ist ein Schlüsselelement im Storytelling – vor allem in Situationen mit Schieflage. Gerade da ist Mut zur Wahrheit die zentrale Herausforderung. Voraussetzung ist allerdings der wertschätzende und unterstützende Geist sowie die Professionalität im Team. Vorgesetzte und Mitarbeitende verzahnen ihre Kenntnisse und Erfahrungen, kreieren überzeugende Stories in guten und in schlechten Zeiten. C’est le ton qui fait le story. 

Nach einer wahren Geschichte von Ancilla Schmidhauser, erlebt in den turbulenten Zeiten nach dem Grounding als Flugbegleiterin.

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Titelbild: Impact Consulting

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