In der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden in den Workshops geht es intensiv zu und her. Doch jedes Mal erfüllt es mich mit Freude und Genugtuung, zu erleben, wie sich die Teilnehmenden auf den Prozess Storytelling einlassen. Sich mit Geschichten auseinanderzusetzen, hat zuerst nichts mit Geschichten-Erzählen zu tun. Es ist ein Prozess des Sich-mit-sich-selbst-auseinandersetzens. Und jedes Mal fasziniert es mich aufs Neue, zu beobachten, wie es vielen Menschen zuerst sehr schwer fällt.

Geben wir es zu: Wir sind gewohnt, grossartig über uns selbst zu erzählen. Wie toll wir sind, was wir Tolles tun, wo wir überall an tollen Orten waren und überhaupt. Nur leider ist es in Tat und Wahrheit so, dass sich für diese Art von Geschichten kaum jemand interessiert. Insbesondere stört es uns, wie solche Geschichten vorgetragen oder besser aufgedrängt werden. Handelt es sich ja in der Regel um Monologe und nicht um ein ernsthaftes Interesse am Gegenüber und Dialog mit Wertschätzung. Wer hat schon Lust, an Events und Netzwerkanlässen, Businessapéros und Zusammenkünfte aller Art sich die übliche, langweilige Leier anzuhören, welche Diplome an welcher renomierten Universität abgeschlossen, welche Topdestinationen angeflogen, welches tolle Auto gekauft, welche Inlocation besucht und welche grossartigen Geschäftserfolge wieder für das Unternehmen errungen wurden?

Und trotzdem hören wir immer wieder genau diese Stories. Bis sich endlich mal jemand getraut, eine ganz andere Art von Story zum Besten zu geben. Eine Story über sich selbst: als man mal gehörig auf die Schnauze gefallen ist, jämmerlich versagt, sich zu Tode blamiert oder einfach mal im Leben sich schwach und klein gefühlt hat. Da werden die Ohren plötzlich gross, die Augen auch und wir saugen diese Geschichten förmlich in uns rein. Wenn die Geschichte auch noch so vorgetragen wird, dass wir hautnah miterleben, wie sich diese Person gefühlt hat, dann sind wir dabei. Und wenn wir aus der Geschichte eine Erkenntnis mitnehmen, dann ist die Geschichte top. Nur, warum hören wir solche Geschichten so selten?

Ich muss zugeben, dass es auch mir lange schwer fiel, solche Stories zu erzählen. Ich hatte Angst, als Versager da zu stehen. Doch die Kunst ist es, Versagen als Lernerfolg sichtbar zu machen – denn genau das ist es ja. Und diese Erkenntnis aufzuzeigen, indem man diesen in einen „Erfolg“ überführt. Menschen lernen aus Erlebnissen und Erkenntnissen anderer Menschen. Diese ermöglichen uns, andere Perspektiven einzunehmen und Lösungsvarianten zu erkennen. Denn solche Geschichten sind glaubwürdig und wahr. Der Schmerz ist nachvollziehbar, da bekannt und wir lechzen nach Lösungen.

Wenn vor Beginn des Workshops gewisse Teilnehmende verlauten lassen, dass sie schon lange Storytelling „betreiben“, denn schliesslich seien sie ja Manager und da sei es essentiell, Stories zu erzählen, dann atme ich zuerst tief ein und wieder aus. Dann weiss ich, dieser Mensch wurde in den Kurs geschickt. Unfreiwillig. Dann sitzt da eine Nuss, die es zu knacken gilt. Eine der ersten Übungen offenbart rasch: Ich habe keine Ahnung, wer ich wirklich bin. Und noch schwieriger wird die Beantwortung der Frage: warum ich tue, was ich tue. Eine Startfrage, die wichtig ist, um die Core Story zu erarbeiten. Die nächste Übung offenbart dann: Meine Botschaft wird nicht verstanden. Ups. Und: Was ich erzähle, interessiert mein Gegenüber herzlich wenig.

Wenn am Ende des Workshops die Teilnehmenden mit Stolz ihre eigene Geschichte erzählen und die Zuhörenden Tränen in den Augen haben, weil da vorne ein Mensch mit Herzblut und Begeisterung über einen Misserfolg und die grossartige Erkenntnis daraus berichtet, die zu einem umwerfenden Erfolg geführt hat, dann wissen alle: Storytelling hat zuerst nichts mit Geschichten erzählen zu tun. Storytelling hat mit der Gewinnung von Erkenntnissen zu tun, mit der Fähigkeit, sich selbst zu kennen und zu zeigen, mit dem Mut, die starke Seite durch die schwache Seite sichtbar zu machen. Mit der Freude, sich als Mensch zu zeigen. Als Mensch, der lernt, weil er Fehler macht und Erkenntnisse gewinnt und so zu neuen Ufern aufbricht und die Welt erobert.

Das ist Storytelling. Und ich wünsche mir mehr Menschen, die wirklich Storytelling „betreiben“, weil sie so Menschen inspirieren und motivieren und unsere Welt bewegen. Das, was wir uns so sehnlichst wünschen.